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Philosophie für Einsteiger

Begonnen von De Wolf, 15.09.2015 11:03

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KleineWeisheit


De Wolf

#26
Wieder einmal ist Zeit für ein kleines Brett mit einer Fortsetzung zum Thema Geschichtsphilosophie.

Wenn wir die verschiedenen Zeitalter bedenken,  kommt als nächstes die Zeitenwende in den Blick, die durch die Geburt Jesu markiert wird. Dazu ist viel zu sagen, was aber eher in den Bereich Glaube und Religion fällt.

Auffällig ist , das der damals regierende Kaiser Augustus sich zwar mit Dichtern umgibt, aber keinen offiziellen Staatsphilosophen hat.

Immerhin hat Vergil nach dem Vorbild der Werke Homers (Ilias und  Odysee) mit seiner Aeneis eine Art Gründungsmythos Roms geschrieben.

In dem sich ein Regierungsprogramm der Kaiserzeit findet.

"Römer, denke daran, mit deiner Herrschaft die Völker zu regieren, den Frieden mit römischer Lebensart zu verbreiten, die Besiegten zu schonen und die Hochmütigen zu vernichten."

Klingt toll nicht wahr? Allerdings klafft es da schon wieder. Sonst hätten die Germanen ja nicht im Jahre 9 in einer konzertierten Aktion die drei Legionen des Varus vernichtet.
Der Gute hat wohl etwas übertrieben mit seiner Lebensart und den damit verbundenen Befriedungsaktionen. In Syrien ein paar Jahre zuvor übrigens auch - wo der Busenfreund des Kaisers ein ausgeblutetes Land hinterlassen hatte...

Auch die Harzhorn-Kampagne von 235 war sicher keine Friedensmission, sondern diente dazu, den gar nicht so tumben Germanen mit aller Macht zu sagen wer (immer noch) das Sagen hatte.

Klingt vertraut - nicht wahr?

Eine weitere Zeitenwende ist um das Jahr 500 gegeben. Ich sage mal: Ende des römischen Reiches, Völkerwanderung und - wenig später  -  das Aufkommen des Islams, mit dem die kulturelle Einheit des Mittelmeerraumes endgültig zerbricht. 

Interessant für Zeitphilosophen ist die Sache mit Mohammed und seiner "Hedschra", ein Begriff der "Auszug" bedeutet: Mit diesem Akt - eigentlich einer Flucht vor seinen Gegnern in der Heimatstadt Mekka Richtung Medina (622) - beginnt noch einmal eine neue Zeitrechnung, die bis heute Bestand hat. 

Da steckt ja auch ein Machtanspruch dahinter. Oder der Anspruch auf "Deutungshoheit"... 

Damit erst mal genug. Trinke nochmal einen starken Kaffee. Der Name kommt übrigens von der äthiopischen Provinz Kaffa, wo Hirten - einer Legende zufolge  - erstmals die anregende Wirkung der Kaffeebohnen bzw. Beeren spürten: Ihre Ziegen hatten an den Sträuchern geknabbert und waren anschließend ziemlich aufgekratzt.

Der Trank war bei Muslimen bald sehr beliebt. Umso mehr, da ihnen Alkohol ja verboten war.

Bei der gescheiterten 2. Belagerung Wiens Anno 1683 blieben viele Säcke Kaffee zurück, der als Viehfutter genutzt wurde.  Woher sollten die wackeren Christenmenschen es auch besser wissen?

Die Entstehung der Wiener Kaffeehäuser ist zumindest indirekt einem türkischen Überläufer zu verdanken, der entscheidende Informationen zum Gebrauch der Bohnen publik machte. Herzlichen Dank!  :coffee:
It's gotta be purrfect!

Margaretnerin

Vielen Dank lieber Wolf!!!  :-*

Nach dieser aufschlussreichen Lektüre und um die Sache  kulinarisch abzurunden (die Philosophie überlasse ich den Kennern), sei erwähnt, dass nicht nur der Kaffee nach der 2. Türkenbelagerung seinen Weg nach Wien gefunden hat, sondern auch das von uns Wienern vielgeliebte Kipferl (Hörnchen), das am besten in Symbiose mit dem schwarzen Muntermacher genossen wird. Am allerbesten, indem man es eintunkt ;) In diesem Sinne: Prost -Mahlzeit :))

De Wolf

It's gotta be purrfect!

De Wolf

#29
Danke für das nette Feedback einer lieben Wienerin.

Dann setze ich meine Ausführungen fort und wage einen Riesensprung in die Neuzeit, die ja um 1500 beginnt.

Wobei sich sofort die Frage stellt. Was kennzeichnet diese Neue Epoche?

Da ist zunächst einmal die Erfindung es Buchdruckes mit beweglichen Lettern. Vorbei ist die Zeit als Mönche zu jahrelanger Hand- und Schreibtischarbeit gezwungen waren. Nun ist es möglich eine Vielzahl von Büchern in relativ großer Auflage zu produzieren und dabei die Kosten zu senken. Bildung wird damit für weitere Bevölkerungsschichten erschwinglich. Und das Informationsmonopol der Mächtigen (Kirche) ist zumindest brüchig geworden. Ich saach mal: Keine Reformation ohne Buchdruck......  :reader:

Die Entwicklung legt Vergleiche mit der Neuesten Zeit nahe, wo das Internet manchen Mächtigen nervös macht...  >:D

Ein weiterer Punkt ist sicher, dass sich mutige Entdecker mit  Nussschalen auf Entdeckungsreise begeben. Kolumbus nach Westen. Vasco Da Gama nach Osten rund um Afrika herum. Ihr Fernziel waren die Schätze des Orients (z.B. Gewürze), an die auf dem Landweg nur noch schwer heranzukommen war.  Die alten Handelsstraßen waren nämlich durch neue Machtfaktoren (Islam) mehr oder weniger blockiert. Erst recht,  als die östliche Drehscheibe des Handels, das oströmische Reich in immer größere Schwierigkeiten kam.  Das Ende  kam schließlich 1453, als die Hauptstadt Konstantinopel in türkische Hand fiel. Schon vorher allerdings hatten viele Handschriften den Weg nach Westen gefunden. Und kluge Köpfe dazu.

Die Renaissance - also die Wiedergeburt Europas im Geiste der Antike - ist davon maßgeblich beeinflusst.

Was sich an einigen qd relevanten Beispielen zeigen lässt.  ;)

Da ist das berühmte Bild von Sandro Botticelli, das die Geburt der Venus zeigt. Ein antikes Motiv, das jetzt mit vielen anderen Eingang in die abendländische Kunst findet.

Da ist Leonardo da Vinci mit seinem vitruvianischen Idealmenschen, der auch die italienische 1 Euro Münze ziert.
Ein starkes Bild - klassisch und modern zugleich. Anatomisch perfekt - die Quadratur des Kreises :))

Ich erinnere die revolutionären Entwürfe von Flugmaschinen (incl. Hubschraubern und Fallschirmen), die einen radikalen Bruch darstellen mit dem was bislang für möglich und "vernünftig" gehalten wurde.

Da ist die simple Tatsache, das der Nürnberger Künstler Albrecht Dürer anfängt seine Werke zu signieren. Nämlich mit einem großen A und einem darunter gestellten kleinen D. Er zeigt sich damit als typischer Renaissancekünstler mit einem neuen Selbstbewusstsein, wie es das vorher nicht gegeben hat.

Auch das Werk des Philosophen Niccolo Machiavelli atmet einen neuen Geist. Mit seinem "Fürsten"  zeigt er sich nicht einfach nur ein Opportunist und Schmeichler.
Ihm liegt ein erschreckend modernes, analytisches Verständnis von Macht zugrunde, die weniger von moralischen Werten bestimmt ist, als von der Einsicht in das "Notwendige", Kalkül, Strategien und - letztlich - von Erfolg. Eigenschaften, die er in dem Papstsohn (!) und Borgiaprinzen Cesare  verkörpert sah, der unter moralischen Gesichtspunkten denkbar schlecht wegkommt...

Den Geist der Renaissance spiegelt sehr schön ein Zitat aus dem Film "Der dritte Mann" wider. Geschrieben und gesprochen von dem unsterblichen Orson Welles, der hier den skrupellosen Kriminellen Harry Lime verkörpert.

,,In den 30 Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blutvergießen, aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr!"

Wobei ich eine Lanze für die Schweiz als Ursprungsort der modernen Demokratie brechen möchte.

Und noch einen Hinweis nachschiebe: Welles irrte sich nicht nur in politischer Hinsicht:

Die Kuckucksuhr stammt aus dem Schwarzwald!  :))
It's gotta be purrfect!

KleineWeisheit


De Wolf

#31
Philosophie im Zeitalter der Reformation

Mit dem Beginn der Neuzeit beginnt  auch ein  neues Kapitel in der Geschichte der abendländischen Kirche.

Das Zeitalter der Reformation – eng verknüpft mit dem Namen Martin Luthers. Der maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass die katholische Kirche ihre jahrhundertealte Monopolstellung verliert.

Eigentlich kein philosophisches Thema. So ließe sich sagen. Und Luther war sicherlich kein philosophischer Denker, sondern ein scharfer Kritiker des mittelalterlichen Denkens, wo ohne Aristoteles und Co.  kaum etwas ging.

Luther war auch kein Revolutionär – im Gegenteil. Im Alter präsentiert er sich als körperlich wie geistig unbeweglicher Patriarch,  dessen Schüler seine Tischreden für die Ewigkeit bewahrten. Und den Lehrer recht bald als ihren – quasi evangelischen - Papst verehrten.

Am Anfang sah alles noch anders aus. Da entdeckt ein von Glaubenszweifeln geplagter Mönch die Bibel – oder genauer die Botschaft Jesu Christi – als DIE entscheidende Erkenntnisquelle. Und stellt folgerichtig einige unbequeme Fragen an das religiöse Establisment. Wo steht geschrieben, dass Kirche sich wie ein multinationaler Konzern präsentiert, der eine Monopolstellung aufbaut – und seine Dienstleistungen nur gegen härteste Münze anbietet?
Wo steht geschrieben, dass die Konzernspitze das Unternehmen mit einer maßlosen Firmenpolitik (Repräsentationsbauten wie der Petersdom) an die Wand fährt und die kleinen Leute auch dafür zahlen müssen?

Zum Glück gibt es ein Produkt, das reißenden Absatz findet. Einen quasi Freibrief für alle Sünden – der von findigen Vertretern unters Volk gebracht wird. Mit dem schönen Werbespruch. ,,Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt." Oder modern  übersetzt: ,,Wer gut schmiert, der gut fährt..."

Gegen diese Korruption läuft der kleine Wittenberger Mönch Ralph Fiennes – Pardon: Martin Luther  - Sturm. Und schlägt – angeblich – 95 Kernsätze gegen dieses Unwesen an die Türe der Schlosskirche an.

Womit er sich gewaltigen Ärger einhandelt. Wobei sein sächsischer Landesherr Peter Ustinov – Pardon: Friedrich der Weise – im Hintergrund die Fäden zieht, um sein Mönchlein vor dem Schlimmsten zu bewahren.

So bekommt dieser eine offizielle Vorladung nach Worms, wo er sich vor dem versammelten Reichstag äußern soll.

Er tut dies mit folgender Erklärung: Ich will widerrufen, wenn ich durch die Bibel oder durch die Vernunft widerlegt werde. Nicht weil Autoritäten mir das befehlen. Denn Autoritäten können irren und irren auch!

Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.

Hier wird es philosophisch. Denn hier geht es um das hohe Gut der Glaubens- bzw. Gewissensfreiheit In Glaubensdingen  kann und darf es keinen Zwang geben. Mehrheitsbeschlüsse greifen hier nicht. Verordnen und erzwingen - das geht erst recht nicht!

Es gilt der Grundsatz. Nicht mit Gewalt, sondern durch das Wort.

Das klingt sehr modern, nicht wahr? Gerade in einer Welt, in der Fundamentalisten den alten Traum vom Gottesstaat träumen und selbsternannte Glaubenswächter ihre Mitmenschen mit Macht daran glauben lassen...

Luther hat da seine Erfahrungen gemacht. Und ordnet das Verhältnis von Kirche und Staat neu. Die Aufgabe der Kirche ist Predigt, Seelsorge und Diakonie. Die Aufgabe des Staates ist der Erhalt der öffentlichen Ordnung und des Friedens, wodurch die Kirche erst ihren Dienst tun kann. 

Luther steht hier im Dialog mit klugen Staatsmännern seiner Zeit. Und macht sich auch Gedanken über eine Weltfriedenordnung. Nicht länger sollen Kriegsherren – Warlords – nach Belieben agieren können, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Ein Gerichtshof sollte sich um sie kümmern – und idealerweise auch eine mobile Friedenstruppe, die dem Recht Geltung verschaffte.

Keine schlechte Idee, die aber daran scheiterte, dass auch die Machthaber damals - groß und klein - auf ihren politischen Vorteil bedacht waren.
Moment – gibt es da nicht eine moderne westliche Supermacht, die immer wieder Vetos einlegt, wenn Entwicklungen nicht in ihr geopolitisches Gesamtkonzept passen?

Und was ist mit diesem sudanesischen Politiker (Umar al Bashir - genau!), der – obwohl vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Völkermordes rechtskräftig verurteilt - weiter munter die Welt bereist?

Luther war also schon ein kluger Kopf. Wobei er sich in chaotischen Zeiten leider dazu gezwungen sah,  mit Landesherren zu kooperieren,  die sein Programm der Reformation – nicht immer uneigennützig -  unterstützten.

Die ganz große Reform in Kirche und Politik kam so ins Stocken. Wurde Privat- und Ländersache. Und so stockt sie eigentlich immer noch.

Wobei Schweizer Kollegen das Werk Luthers weitergeführt haben und das gar nicht einmal so schlecht...

Ich sage mal: Jean (Johannes) Calvin. Tätig in Genf...

Fortsetzung folgt...
It's gotta be purrfect!

De Wolf

Danke. Eigentlich sind es "nur" Fakten. Wobei die Verhältnisse damals sich von den Unseren gar nicht so sehr unterscheiden...

Leider...  :-\
It's gotta be purrfect!

Röschti Quizzerin

Zitat von: Wolf Caffiz am 06.10.2015 20:06
Philosophie im Zeitalter der Reform
.........

Fortsetzung folgt...

...ja, bitte.
Da fehlt direkt die Funktion"Blog abonnieren" im Forum.
Einmal mehr: D A N K E  :-*

De Wolf

#34
Wie versprochen wieder eine  Runde Philosophie. Wo simmer denn dran? Ach ja die Fortsetzung mit Johannes Calvin, dem genialen Organisator (bräuchte ich im Moment auch beim Sortieren meiner Bibliothek!)  :'(

Ich werde wieder versuchen, ein paar qd Tipps einzubauen.

Und fange an mit einem Blick auf die Karte unserer Bundesrepublik. Auf die 11 alten Bundesländer, zu denen mit der Wiedervereinigung 5 neue gekommen sind.
Was das Regieren nicht immer einfach macht.
Hier die Interessen des Bundes - dort die der Länder...  >:D

Wie war das erst in der alten Zeit, als das Reich ein Flickenteppich von rund 400 Herrschaften war?  >:(

Hätte man den alternden Luther nach der Zukunft gefragt, er hätte müde abgewunken. "Meine Deutschen sind ein wildes Volk!" hätte er gesagt. "Mit denen ist kaum eine Reformation zu machen. Und Staat schon gar nicht."

Wirklich nicht?  :-\

Es es gab durchaus Experimente mit Demokratie. Vor allem in den freien Reichsstädten. Hamburg und Bremen halten die Tradition bis heute aufrecht.
Auch Frankfurt gehörte früher dazu. Weshalb sich auch das erste demokratisch gewählte Parlament 1848 in der dortigen Paulskirche versammelte... ein Jahr später hatten die Fürsten schon wieder Oberwasser...  :guns:

In der Schweiz sah manches anders aus. Schon viel früher. Günstige Bedingungen für Reformatoren, Kirche u n d Staat zu machen. Wobei das Genf Jean (Johannes) Calvins zu einer christlichen Musterstadt wurde. Zumindest für Calvins Freunde und Anhänger. Wer andere Überzeugungen vertrat, der hatte es immer noch ziemlich schwer...  :baseball:

Immerhin: Viele Studenten aus ganz Europa kommen nach Genf. Und sorgen dafür, dass die Reformation zu einer weltweiten Bewegung wird. Der Franzose Theodor Beza ist da zu nennen, der ausgehend von Luthers und Calvins Gedanken zur Obrigkeit den Gedanken eines Widerstandsrechtes entwickelt. Was die französischen Hugenotten ("Eidgenossen") zeitweise zu einem Staat im Staate machte. (Denkt an Dumas und seine Musketiere, die auch in die Kämpfe um La Rochelle verwickelt werden...) 

Der Niederländer Hugo Grotius ist ein Vordenker des Völkerrechtes, und stößt die Türe ganz weit Richtung Neuzeit auf. :reader:


Auch ökonomisch können die Reformierten punkten. Weil sie allem äußeren Prunk kritisch gegenüberstehen, investieren sie Gewinne aus Geschäften wieder ins Geschäft, was ja verbunden mit echter Fleißarbeit manches Unternehmen voranbringt.

Der Soziologe Max Weber hat dies eindrücklich beschrieben.  :opa:

Solche Erfolgsgeschichten wiederum gelten als untrüglicher Beweis, dass Gott die Seinen liebt. Und Misserfolg ein deutliches Indiz für das Gegenteil ist. (Typisches Beispiel aus der Bibel. Isaaks Söhne. Der findige Jakob und der - angeblich - ziemlich tumbe Esau. Genau!)

So hat diese Erfolgsgeschichte ihre Tücken. Denken wir an die bibelfesten Siedler, die sich berufen sahen, den "gottlosen Wilden" in der Neuen Welt Saures zu geben.

Oder an die Buren in Südafrika, die  das berüchtigte Apartheidsystem entwickelten, das Nelson Mandela 18 Jahre auf der Hölleninsel Robben Island bescherte (und weitere acht Jahre andernorts, bis zu seiner Freilassung 1990).

Oder die Anhänger der TEA Party (Taxed enough already), für die ein starker Sozialstaat ein Übel ist, weil er den Bürger in seiner Eigeninitiative bremst und sogar jenen Sicherheiten gibt, deren Leben eben keine Erfolgsgeschichte ist... (!)  >:(

Ich denke, da wurde der gute Calvin fundamental falsch verstanden oder sehr eigenwillig interpretiert. Es ging ihm eigentlich darum, seinen schwer geplagten Glaubensgenossen Mut zu machen. Sich in einer feindlichen Umwelt zu behaupten. Seelsorge war sein Anliegen - nicht die biblische Keule zu schwingen...  :up:

Aber so ist das mit der Religion. Und mit dem Leben überhaupt. Die Antworten, die heute richtig sind, können morgen schon grundfalsch sein. Es braucht immer wieder Leute mit Traute, quer- oder umzudenken. Ich sage mal. Permanente Revolution - ähh Reformation!

:servant:
It's gotta be purrfect!

trusblue

Lieber Wolf,
dieser lehrreiche Beitrag hat mir sehr gefallen!
Vieles aus der Schulzeit wurde wieder "erweckt"!
Und...
eigentlich ist es ungerecht,
dass du für diesen post nur einen Zähl-Punkt bekommst! ;)
Es grüßt dich Sabine
Team:

Team:
AURORA BOREALIS

De Wolf

It's gotta be purrfect!

De Wolf

#37
Wieder einmal ist es Zeit für eine Fortsetzung. Die ich mit einer Bildbetrachtung beginnen möchte. 

AD 1500 malt Albrecht Dürer ein für damalige Verhältnisse ungewöhnliches Selbstportrait.

Frühere Künstler haben sich höchstens als Randfiguren in frommem Kontext verewigt.  O:-)

Er setzt sich in Szene und zwar  f r o n t a l. Er wählt also eine Form, die traditionell Christus vorbehalten war.  Das einzig wahre Menschen-Bild, wie es auch das Turiner Grabtuch zeigt.

Das Werk zeigt das neue Selbstverständnis bzw. das Selbstbewusstsein eines modernen Menschen.
Der sich auch gegenüber kirchlichen Autoritäten kritisch zeigt. Zumal diese das Vertrauen  der  Gläubigen oft strapaziert hatte. Und dabei auch Manipulationen nicht scheute.  >:(

Ein typisches Beispiel ist die sog. ,,Konstantinische Schenkung". Ihr Inhalt klingt nach einer frommen Legende. Der Kaiser ist schwer erkrankt. Papst Silvester macht seinen Einfluss an höchster Stelle geltend. Der Kaiser wird wieder gesund und übergibt dem Papst die westliche Reichshälfte ,,bis ans Ende der Zeiten" und zieht sich nach Osten Richtung Byzanz bzw. Konstantinopel zurück (der einzigen Stadt auf zwei Kontinenten, die übrigens erst seit 1930 den heute bekannteren Namen Istanbul trägt.  :reader: )

Für die Päpste des Mittelalters war die ,,Schenkungsurkunde" ein wichtiger Beleg für ihre angebliche Weltherrschaft. Und wurde in Streitfragen mit weltlichen Herrschern entsprechend oft zitiert.  :bang:

Als Fälschung einer päpstlichen Kanzlei des 8. Jahrhunderts wurde sie erst zu Beginn der Neuzeit erkannt.  :o

Und zwar durch den deutschen Kirchenmann Nikolaus von Kues und den italienischen Gelehrten Lorenzo Valla, die der Fälschung durch genaue Analyse des Textes und der Wortwahl auf die Spur kamen.  :-\

Dennoch: Bis ins 19. Jahrhundert hinein hielt die katholische Kirche daran fest, dass die Urkunde zwar gefälscht sei, es die Schenkung aber dennoch gegeben habe!  :motz:

Keine sehr gute Verteidigungsstrategie. Aber man kann es ja versuchen. Und versucht ähnliches bis heute.  Auch in der hohen Politik...  :-\

Ist der Ruf erst ruiniert...

Noch desaströser war die Abwehrhaltung der Kirche im Umgang mit neuem wissenschaftlichem Gedankengut. Hier ist Giordano Bruno zu nennen, ein visionärer Freigeist und Anhänger des kopernikanischen Weltbildes, das die Sonne in den Mittelpunkt unsres Systems rückt.
Bruno geht sogar noch weiter. Macht sich  Gedanken über das Weltall  und spekuliert sogar über  andere Sonnensysteme bzw. Universen. Das kommt im päpstlichen Rom nicht gut an. Die kirchliche Ermittlungsbehörde – die Inquisition – wird auf ihn angesetzt. Giordano Bruno wird am 16.2.1600 auf dem Campo die Fiori verbrannt.
1889 hat die Stadt Rom ihm ein Denkmal gesetzt.
Seine Bücher blieben auf dem Index der verbotenen Bücher.
Den gibt es auch heute noch. Die Inquisition allerdings hat ihren Namen geändert. Sie nennt sich jetzt Glaubenskongregation.
Geleitet wurde sie lange Jahre mit typisch deutscher Gründlichkeit  von einem gewissen Kardinal Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt dem 16.  :priest:

Ein besseres Schicksal widerfuhr Galileo Galilei.  Einen Namen machte der sich unter anderen mit Studien zu den Fallgesetzen oder der Entdeckung der ersten von mittlerweile 67 Jupitermonden. Gefährlich wurde es, als er sich zum kopernikanischen System äußerte und die kirchliche Lehrmeinung dabei schlecht wegkam.  Im nun folgenden Prozess gab er nach. Eine bloße Demonstration der Verhörwerkzeuge genügte. Er war eben nicht mehr der Jüngste. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in relativ kommodem Hausarrest. Wobei nicht ganz klar ist ob er wirklich die Worte gesprochen hat für die er berühmt geworden ist. ,,Und sie bewegt sich doch".  :-[

Für die Kirche war es ein Pyrrhussieg, also einer, der mit erheblichen Verlusten erzielt wurde.

Die Causa Galilei und der negative Ruf der Wissenschaftsfeindlichkeit  machten ihr schwer zu schaffen.

Eine Rehabilitierung des Wissenschaftlers erfolgte 1992. Was vielleicht doch etwa spät war.  :-\

Eine Statue im Vatikan ist seit längerem geplant.  Die Umsetzung lässt auf sich warten...

Wenn ihr mehr wisst – bitte melden...

Anzumerken wäre, dass im 17. Jahrhundert Religionskritik auch noch einen anderen wesentlichen Grund hatte.
Der 30jährige Krieg (1618 bis 1648) war ein großes europäisches Kräftemessen bei dem sich die Parteien auch des Glaubens bedienten.
Die Lektion aus dem Gemetzel? Es werden letztlich die Weichen Richtung Toleranz gestellt – ein Ergebnis, dass angesichts unzähliger Kriegsopfer allerdings äußerst teuer erkauft wurde...  >:(

So ist es kein Zufall, dass in dieser Zeit der Franzose Rene Descartes ein neues Kapitel der Philosophiegeschichte schreibt. Der kopernikanischen Wende ,,nach außen" folgte die cartesianische ,,nach innen".
Sein Kernsatz lautet. ,,Ich denke also bin ich" (,,Cogito ergo sum"). Der methodische Zweifel wird zum Instrument der wissenschaftlichen Forschung. Die Zukunft gehört dem selbstbewusst Fragenden rational geschulten Forschergeist, der traditionsverhaftete Autoritäten endgültig alt aussehen läßt.

Das Zeitalter der Aufklärung kündigt sich an.

Um es mit Kant zu sagen: Sapere aude! Wage es Dich Deines Verstandes zu bedienen!  :reader:

Aber das ist doch eine andere Geschichte...

Fortsetzung folgt...
It's gotta be purrfect!

De Wolf

It's gotta be purrfect!

Margaretnerin

Ein herzliches Dankeschön unserem Wolf!!! :-*

Ich kann zwar kein Latein, drum auf Deutsch:

Ich lese also bin ich ....( auf dem richtigen Weg) ;)

De Wolf

It's gotta be purrfect!

pigamma

Ganz, ganz toll!  :up:
Man muss es mehrmals lesen, ganz langsam, um es wirklich zu verstehen. Bitte noch viel mehr davon...

trusblue

Lieber Wolf, 
das ist wieder mal super!
Verständliche Sprache, gut gegliedert
und daher sehr gut zu lesen!
Danke!
LGvS
Team:

Team:
AURORA BOREALIS

KleineWeisheit


Steinreiche Helga



        

De Wolf

Vielen Dank für Eure Feedbacks. Und für die zahlreichen Clicks sowieso. Ich dachte zunächst wirklich, das Thema wäre zu exotisch und würde - wenn überhaupt - nur von einigen Insidern gelesen.  :-\

Umso mehr freut mich die Resonanz.  :))

Auch bei LeserInnen, die nicht Mitglieder unseres Forums sind. 

An Euch nochmal die Bitte: Nicht nur mitlesen und Infos für künftige Battles suchen.

Werdet Mitglieder einer super Community. Doppelter Spaß am QD ist garantiert.

Mindestens!  :up:

Und das ist doch das, was zählt!

Und ja! Eine Fortsetzung ist in Vorbereitung. Bin selber gespannt wohin die Reise geht...

Liebe Grüße...

Euer pelzer Wolf!  :winke:
It's gotta be purrfect!

De Wolf

#46
In diesen Tagen wurde im QD ein Begriff gefragt, der geradezu einlädt, den Philosophiefaden wieder aufzunehmen und weiterzuspinnen.

Gefragt war – die Theodizee....   :reader:

Das griechische Wort bedeutet ,,Gerechtigkeit Gottes" oder auch ,,Rechtfertigung Gottes".  Und versucht Antwort auf eine wirklich schwierige Frage zu geben.
,,Wenn Gott allmächtig und gut ist, woher kommt dann das Böse in der Welt?"
Oder ist Gott eben nicht so allmächtig und gut. Aber was wäre das für ein Gott?  :-\

Schon die biblischen Schriftsteller befassen sich eingehend mit dieser Frage. Etwa in der Geschichte vom Sündenfall, wo das Böse in Gestalt der Schlange Adam und Eva verführt.   Dass seitdem buchstäblich der Wurm drin ist, ist also nicht dem Schöpfer anzulasten...

Auch  nicht einem gleichfalls mächtigen Widersacher, wie ihn die Religion der Parsen, der Zoroastrismus kennt . Wo sich der gute Gott Ahuramazda und sein böser Bruder Ahriman bis ans Ende der Zeiten bekämpfen.

Diese Vorstellung hat allerdings auch in ,,abgeschwächter" Form Eingang in die Bibel gefunden. Im Hiobbuch, wo der Satan als Teil des göttlichen Hofstaats auftritt und von höchster Stelle die Erlaubnis bekommt, das Gottvertrauen des  frommen Hiob kräftig auf die Probe zu stellen.
Was nicht zufällig an den Prolog des Faust erinnert, wo Goethe mit Mephisto einen genial abgründigen Charakter geschaffen hat....

Gut – am Ende rückt Gott alles zurecht. Hiob wird für alles Leid entschädigt. Aber ein ungutes Gefühl bleibt. Sind wir nur Teil eines großen Spiels – Marionetten gewissermaßen?  Und ist es für einen geplagten Menschen wirklich ein Trost,  wenn  endlich doch ein Gott "da oben" in unergründlicher Weisheit das letzte Wort behält? 

Mir persönlich hilft da die Botschaft des Neuen Testaments, wo sich Gott in Jesus Christus als mitfühlender und mitleidender Gott erweist. Aber da geht es um Fragen des Glaubens – und jeder ist da eingeladen und gefordert,  seine Antworten zu finden.

Zurück zur Philosophie. Und da gab es schon in der griechischen Antike Denker, die aufgrund dieses Problems zu Agnostikern wurden, also massiv die Frage nach der Existenz Gottes stellten. Oder Atheisten, die aus eben diesen Gründen sagten: Es gibt keinen Gott...

:think:

Machen wir einen großen Sprung in die Zeit der Aufklärung. Und kommen wir zu Gottfried Wilhelm Leibniz, der den Begriff der Theodizee überhaupt erst geprägt hat. Und eine Antwort auf die Frage fand, indem er sagte: Diese Welt ist die Beste aller Möglichen...  :opa:

Denn Gott wäre ja nicht das vollkommene Wesen, wenn er etwas anderes als die ,,beste aller möglichen Welten" für die Menschen erschaffen hätte.  Wenn Menschen da zu anderen Antworten  kommen,  liegt das an unserer allzumenschlichen Begrenztheit. Wir können den Sinn des Ganzen nicht erkennen und verstehen. Und vielleicht macht das, was uns sinnlos oder böse erscheint,  auf höherer Ebene eben doch Sinn?

Hand aufs Herz. Ist das eine befriedigende Antwort?  Ein anderer großer Aufklärer sagt ,,Nein!". François-Marie Arouet - bekannter unter dem Namen Voltaire. Der hat in seinem satirischen Werk ,,Candide oder der Optimismus" diese Lehre äußerst spöttisch hinterfragt. Dieser Candide ("der Reine, Unschuldige") ist ein junger, optimistischer Mann, der – begleitet von seinem philosophisch geschulten Mentor Pangloss (dem "Alleskommentierer") -  durch die Welt reist  und aufgrund immer neuer Katastrophen Schritt für Schritt von der o.g. These abrückt.
Während Pangloss unbeirrt an der zunehmend ad absurdum geführten These Leibniz' festhält, kommt Candide am Ende zu einer sehr modernen Schlußfolgerung.

Schluss mit all  den Spekulationen über Gott und die Welt. Es ist an uns, unserem Leben einen Sinn zu geben. Ganz konkret.

,,Wir müssen unseren Garten bestellen!" 

Das hat Voltaire übrigens selber in die Tat umgesetzt. Im fortgeschrittenen Alter kaufte er in der Nähe von Genf – im Grenzgebiet zwischen der Schweiz und Frankreich - die Landgüter Ferney und Tourney. Er bewirtschaftete sie ebenso einfalls- wie ertragreich. Und mit klarem Blick für die Bedürfnisse seine Pächter und Landarbeiter, denen er auch in der kalten Winterzeit einträgliche (Heim)arbeit gab.

Ein gelungener Beweis, dass Philosophie zu sehr praktischen Konsequenzen führen kann.

Und damit vielleicht zu der "Besten aller möglichen Philosophien"...

Puhhh...

Wieder mal sehr tief gegraben. Bin gespannt auf Eure Feedbacks. Und mache erst mal Feierabend. Höre mir Leonard Bernsteins ,,Candide" an, der auf Voltaires satirischem Roman basiert.

Sehr schön.

Auch und gerade der Song am Ende,  wo es heißt: 

Let dreamers dream what dreams they please.
Those Edens can't be found.
The sweetest flowers, the finest trees
Are grown in solid ground.
We're neither pure, nor wise, nor good,
We'll do the best we know.
We'll build our house and chop our wood
And make our garden grow.

Lasst Träumer doch träumen, was ihnen gefällt.
Solche Paradiesgärten (Edens) sind nicht zu finden.
Die süßesten Blumen, die schönsten Bäume
Wachsen auf solidem, festem Boden.
Wir sind nicht rein, noch weise noch gut.
Wir tun das Beste,  was wir wissen.
Bauen unsere Häuser und hacken unser Holz
Und machen, dass unser Garten wächst.

In diesem Sinne einen schönen Abend und viel Erfolg bei den Aufgaben der nächsten Tage.  :up:

Bis demnächst:

Euer pelzer Wolf...

:winke:
It's gotta be purrfect!

Margaretnerin

#47
https://youtu.be/nlVD-jrq_Yk

Danke für diesen wunderbaren Text!!!!
Und weil mich der Auszug aus Bernsteins "candide" neugierig gemacht hat, hab ich gegoogelt. :-*

KleineWeisheit

Vielen Dank für die tolle Zusammenfassung!

"Candide" liegt seit längerem auf meinem "Bücher-die-ich-noch-lesen-möchte-Stapel". Ich sollte das echt mal angehen ;-)

De Wolf

It's gotta be purrfect!

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